Sehnsucht nach Ruhe

In diesem Artikel sehen wir uns an, warum manche Menschen mehr Sehnsucht nach Ruhe haben als andere. Doch machen wir zum Einstieg ein kleines Gedankenexperiment:

Stell dir vor, du stapfst durch einen verschneiten Wald. Alles um dich herum ist in eine dicke Schneedecke gehüllt. Es ist still. Das Lauteste, das du hören kannst, ist das Knirschen des Schnees unter deinen Schuhen, dein Atem und dein Herzschlag. Wenn andere Geräusche aufkommen, dann nur gedämpft.

Wie fühlst du dich bei diesem Bild?

Ich persönlich finde so eine Szenerie extrem entspannend und merke auch, wie ich innerlich ruhiger werde.

Der Alltag sieht allerdings meistens anders aus. Wir stehen oft unter Dauerbeschallung. Sei es durch Straßenlärm, Bauarbeiten, Musik im Supermarkt, Geräuschchaos im Großraumbüro oder sonst was.

Wie gut wir mit diesen akustischen Reizen umgehen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum Beispiel, wie geräuschempfindlich wir sind oder ob und welche Umweltreize wir persönlich als Stressoren wahrnehmen.

Warum ist das Thema Lärm überhaupt psychologisch relevant?

Lärmbelastung ist ein Stressfaktor. Dauerlärm kann zu gesundheitlichen Problemen, wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.

Ein Grund dafür ist folgender:

Bei Lärm springt unser Alarmsystem schnell mal an, da es sich dabei ja auch um eine potenzielle Gefahr handeln könnte.

Unsere Amygdala (eine Gehirnstruktur im limbischen System) reagiert und leitet eine körperliche Stressreaktion ein: Das „Stresshormon“ Cortisol wird ausgeschüttet und unser Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt. Der Herzschlag wird schneller, der Blutdruck- und Blutzuckerspiegel steigt, die Muskeln spannen sich an.

Der Körper macht sich bereit, Höchstleistungen zu vollbringen. Im Extremfall kommt es eben auf die Optionen Kampf oder Flucht an und dafür muss der Körper einiges auffahren. Das zapft logischerweise die körpereigenen Ressourcen ziemlich an. Wenn du mehr zum Thema Stress wissen möchtest, findest du in diesem Blogartikel.

Doch nicht nur der allgegenwärtige Lärm sorgt dafür, dass das Bedürfnis nach Ruhe zunimmt.

Sehnsucht nach Ruhe und nach dem Alleinsein

Es soll heute nicht nur darum gehen, Ruhe vom Lärm haben zu wollen. Sondern auch um den Wunsch danach, einfach mal für sich allein zu sein. Also die Sehnsucht nach Ruhe auch im sozialen Bereich.

Wenn du mir bei Pinterest folgst, hast du vielleicht schon mal folgenden Pin von mir gesehen:

Sehnsucht nach Ruhe

Bei diesem Pin ging es vor allem darum, dass Introvertierte sich nicht dafür rechtfertigen müssen sollten, wenn sie Zeit für sich allein brauchen. Je introvertierter jemand ist, desto mehr Regenration findet in ruhigen Momenten statt.

Introversion und Extraversion sind zwei Pole eines Persönlichkeitsmerkmals im Big Five Modell. Sie sind Teil der natürlichen Variationen von Persönlichkeitsausprägungen.

Daher ist es erstmal weder problematisch noch besser oder schlechter, introvertierter oder extravertierter zu sein.

Jede Persönlichkeitsausprägung hat ihre Stärken und Schwächen. Und häufig bereichern sich unterschiedliche Persönlichkeitstypen sogar gegenseitig.

Allerdings gibt es kulturellbedingte Unterschiede dabei, welche Charaktereigenschaften als wünschenswert angesehen werden.

Die wenigsten Menschen sind übrigens nur intro- oder nur extravertiert. Meistens bewegt man sich irgendwo auf dieser Skala. Wo man selbst steht, ist vom eigenen Temperament abhängig.

Bedürfnis nach Ruhe ist auch eine Frage des Temperaments

Das Temperament zeigt sich bereits kurz nach der Geburt. Babys, die auf externe Reize eher gestresst reagieren (also z.B. mit Weinen oder auch erhöhtem Herzschlag und Blutdruck), entwickeln sich eher zu introvertierten Kindern und Erwachsenen.

Babys, die von lauten Geräuschen und vielen Reizen unbeeindruckt sind oder sogar gar nicht genug davon kriegen können, werden tendenziell zu extravertierten Personen.

Um dich selbst auf der Skala besser einzuordnen vielleicht mal ein kurzes Beispiel:

Wenn du nach einer stressigen Arbeitswoche lieber ein heißes Bad nehmen und dich anschließend einem Buch auf der Couch widmen möchtest, statt erstmal in einem Club ausgiebig Feiern zu gehen, bist du wahrscheinlich näher am Pol Introversion als am anderen Ende des Spektrums. Das ist zugegebenermaßen ein recht klischeehaftes Bild, aber es soll ja nur der Veranschaulichung dienen.

Introvertierte reagieren sensibler auf Umweltreize

Wo man auf der Skala Introversion-Extraversion angesiedelt ist, zeigt sich auch im Gehirn:

Die Gehirne Introvertierter reagieren stärker auf äußere Stimuli. Daher wird es ihnen schnell zu viel und sie brauchen mehr Ruhe und Zeit für sich, um die Masse an Infos zu verarbeiten. Sie brauchen den Rückzug, um ihre Akkus wieder aufzuladen.

Extravertierte hingegen brauchen den Austausch mit anderen und den Trubel. Sie laden sich sozusagen genau bei dem auf, was Introvertierte Kraft kostet.

Allein diese Unterschiede können einfach schon zu Missverständnissen zwischen Menschen mit verschiedenen Persönlichkeitstypen führen.   

Das soziale Umfeld hat ebenfalls einen Einfluss auf die weitere Entwicklung dieser Charaktereigenschaften. Gesellige und energiegeladene Kinder passen eher ins westliche Ideal als stille und zurückhaltende.

Wer lieber für sich allein oder mit einem anderen Kind als in einer großen Gruppe spielt, nicht gern im Mittelpunkt steht und Kindergeburtstage als anstrengend empfindet, wird schnell mal schräg angesehen. Das suggeriert dem Kind wiederum, dass etwas mit ihm nicht in Ordnung sei.

Missverständnisse zu Introversion

Eltern introvertierter Kinder meinen es daher in der Regel nur gut, wenn sie ihrem Kind raten, es müsse mehr aus sich heraus gehen oder solle nicht so schüchtern sein.

Kurze Anmerkung: Schüchternheit und Introversion sind nicht dasselbe.

Schüchternheit oder Gehemmtheit in sozialen Situationen hat eher mit dem Aspekt Neurotizismus zu in, der ebenfalls ein Teil des Big Five Modells der Persönlichkeit ist.

Neurotizismus bezeichnet die emotionale Stabilität bzw. Labilität einer Person. Nicht jede introvertierte Person ist schüchtern – kann es aber sein, wenn sie auch hohe Werte auf der Neurotizismusskala erzielt.

Außerdem haben extravertiertere Menschen auch schnell den Eindruck, Introvertierte müssten doch unheimlich einsam sein. Also wird dem Kind ständig geraten, doch mal mehr mit anderen Kindern zu spielen. Selbst wenn dieses mit seinen zwei engen Freund*innen mehr als zufrieden ist und gar keine Lust auf etliche Bekanntschaften hat.

Auch Fragen danach, ob dem Kind nicht langweilig sei, wenn es immer nur male, lese oder nur für sich allein spiele, tragen eher zur Verunsicherung auf Seiten des Kindes bei.

Signalisiert das Umfeld immer wieder, dass das Verhalten und die Persönlichkeit des Kindes zu still sei, entstehen unter Umständen Selbstzweifel. Kinder wollen ihren Bezugspersonen gefallen und passen sich an deren Erwartungen an.

Später zwingen sie dann ggf. selbst dazu, zum Beispiel auf Partys zu gehen, obwohl sie sich dort total unwohl fühlen: Lärm, Menschenmassen, etliche oberflächliche Gesprächsthemen. Damit können die meisten „Intros“ nicht viel anfangen. Daher werden sie von anderen schnell mal als langweilig oder arrogant empfunden.

„Du musst mal mehr unter Leute!“

Das bedeutet allerdings nicht, dass Introvertierte sozialunverträglich sind und überhaupt nicht mit anderen Menschen reden oder zusammen sein wollen.

Sie bevorzugen einfach nur Treffen mit ein oder zwei Personen, bei dem sie sich tiefgehend über persönliche oder gesellschaftliche Themen austauschen.

Daraus ziehen sie wesentlich mehr Energie als aus einer Veranstaltung, bei der sich von einer Menschenmasse umringt sind. Es gibt eben einen Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit.

(Falls du mehr über Missverständnisse und Vorurteile rund ums Thema Introversion erfahren möchtest, kann ich dir diese Folge des Podcasts Still & Stark dazu empfehlen.)

Allerdings ist eine extravertierte Persönlichkeit in unserer Gesellschaft lieber gesehen als die introvertierte Variante. Introvertierte haben daher nicht selten das Gefühl, sich verstellen zu müssen.

Zwar können introvertierte Menschen auch in einen extravertierten Modus schalten, wenn es nötig ist. Zum Beispiel, wenn sie eine Präsentation halten müssen. Allerdings brauchen sie danach meistens erstmal wieder eine Ruhephase.

„Die Sehnsucht nach Einsamkeit ist wie Durst“

Eva Lohmann

Das Zitat stammt aus diesem Artikel, welcher vielleicht gerade introvertierte Eltern interessant ist. Schließlich gestaltet sich das Erfüllen des eigenen Bedürfnisses nach Ruhe sich im Familienalltag nicht immer ganz unkompliziert. Falls du dich für das Thema „Achtsames Elternsein“ interessierst, sieh dich doch mal bei Katja um.

Bei der Unterscheidung von Introversion und Extraversion geht es also auch darum, wie jemand mit seinem eignen Energiehaushalt umgeht.

Um mit den eigenen Reserven gut hauszuhalten, muss man sich selbst bzw. die eignen Bedürfnisse allerdings erstmal kennen. Und nicht nur das, sie wollen auch kommuniziert werden – das gilt auch für die eigenen Grenzen.

Weitere Ursachen für ein größeres Bedürfnis nach Ruhe

Ob jemand also viel Ruhe und Zeit für sich allein braucht, hängt allerdings nicht nur von der Persönlichkeit ab. Die psychische Gesundheit spielt ebenfalls eine Rolle.

Denn Depressionen, Burnout oder auch soziale Ängste und Phobien führen dazu, dass man nicht „unter Leute geht“.

Soziale Interaktionen bergen immer ein gewisses Stresspotenzial und wenn die psychische Verfassung ohnehin angeschlagen ist, verzichtet man lieber auf anderer Leute und bleibt lieber in Ruhe für sich.

Gründe für das Meiden von anderen Menschen können auch negative oder traumatische Erfahrungen sein, dir wir im Laufe unseres Lebens gemacht haben. Solche Erlebnisse hinterlassen Spuren, die sich natürlich auch im Verhalten widerspiegeln.  

Außerdem gibt es natürlich auch körperliche Erkrankungen, die viel Energie kosten. Wenn man eh schon erschöpft ist und sich unwohl fühlt, hat man in der Regel auch lieber seine Ruhe und Zeit für sich zum Regenerieren.

Im Artikel „Stressmanagement für Introvertierte“ findest du einige paar Impulse, welche Selbstfürsorge-Aktivitäten eher für Introvertierte geeignet sind. Und allgemeine Inspiration für Self-Care-Momente im Alltag kannst du hier nachlesen.

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Zum Schluss noch zwei Buchtipps, wenn du dich mehr in das Thema Introversion einlesen möchtest:

„Leise Menschen – starke Wirkung: Wie Sie Präsenz zeigen und Gehör finden“ von Sylvia Löhken

„Still: Die Kraft der Introvertierten“ von Susan Cain


Wie ist es bei dir? Wo ordnest du dich auf der Skala Introversion – Extraversion ein? Wann brauchst du Ruhe und Zeit für dich? Und vor allem: Wann gönnst du sie dir?

Dir fällt es schwer, dir Zeit für dich selbst einzuräumen (Stichwort schlechtes Gewissen) oder du generell Unterstützung bei der Stressbewältigung?

So kannst du mit mir zusammenarbeiten:


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