Ok, warum genau schreibe ich einen Artikel zum Thema Stressmanagement für Introvertierte?

Weil nicht jede Stressmanagement-Methode oder jeder Selbstfürsorge-Tipp gleich gut für jeden funktioniert.
Was wir brauchen und was unsere Bedürfnisse sind, hängt nicht nur mit unserem Alter, unserem Gesundheitszustand, unseren Erfahrungen oder Lebensumständen zusammen. Sondern eben auch mit unserer Persönlichkeit.
Wie introvertiert oder extravertiert du jetzt letztendlich bist, macht natürlich nicht deine komplette Persönlichkeit aus. Im sogenannten Big Five Modell der Persönlichkeit gibt es neben Extraversion noch Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit, Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit.
Das ist eines von mehreren Persönlichkeitsmodellen, wird aber meistens in der Persönlichkeitsforschung genutzt.
Falls du dich jetzt fragst, warum Introversion nicht in dieser Aufzählung ist:
Von Introversion spricht man, wenn die Werte für Extraversion gering ausfallen.
Oder anders ausgedrückt:
Introversion und Extraversion sind zwei Pole einer Skala:
Je geringer die Extraversion, desto introvertierter ist eine Person.
Das stellt jetzt an sich erstmal keine Wertung dar. Keine Persönlichkeitseigenschaft ist per se erstmal negativ oder positiv. Alle haben so ihre Vor- und Nachteile – abhängig von z. B. der Situation oder Kultureinflüssen.
So werden manche in unserer Gesellschaft eben lieber gesehen als andere. Wie eben extravertierte Eigenschaften: gesellig, aktiv, gesprächig, optimistisch.
Womit wir wieder beim Punkt Introversion sind.
Introvertiertere Personen sind oft weniger gesellig wie extravertiertere, reden weniger, können besser Zeit allein verbringen (was nicht heißt, dass Introvertierte überhaupt keinen Kontakt zu anderen Menschen haben wollen!).
Vereinfacht kann man auch in Sachen Selbstfürsorge und Stressmanagement sagen, dass Extravertierte Kraft aus sozialen Interaktionen ziehen. Sie haben Spaß an großen Veranstaltungen mit vielen Menschen und viel Interaktion. Und können so eben auch Stress abbauen.
Doch genau das ist etwas, was für introvertierte Menschen einfach nur anstrengend sein kann.
Was Extravertierten guttut, ist etwas, das Introvertierte stresst
Oder zumindest stressen kann.
Denn Introvertierte und Extravertierte unterscheiden sich auf neurologischer Ebene darin, wie viel Stimulation sie brauchen, um sich zufrieden zu fühlen.
Extravertierte brauchen dafür mehr äußere Reize, da ihnen sonst schnell langweilig wird. Bei Introvertierten ist diese Grenze, bis wann äußere Reize noch als angenehm empfunden werden, schneller erreicht.
Kleine Bemerkung:
Wenn ich von Introvertierten und Extravertierten spreche, meine ich Menschen, bei denen der Extraversionswert eher gering oder eben eher hoch ausgeprägt ist.
Die wenigsten sind 100% intro- oder extravertiert, sondern bewegen sich irgendwo zwischen diesen beiden Polen. Und ob man jetzt eher introvertiert oder extravertiert ist, stellt keine Wertung da.
Wobei allerdings auch gesagt werden muss, dass in unserer Gesellschaft extravertierte Eigenschaften irgendwie als erstrebenswerter angesehen werden, was zum Beispiel dazu führt, dass Eltern sich Sorgen machen, mit ihren introvertierten Kindern könnte irgendwas nicht stimmen und Introvertierten nahegelegt wird, sie sollten doch einfach lernen extravertierter zu sein…Stress vorprogrammiert – vom Gefühl, irgendwie falsch zu sein, ganz zu schweigen.
Introvertierte sind also nicht so gesellig, reden vielleicht weniger (weil sie z.B. Ideen oft erstmal durchdenken, bevor sie sie mit anderen teilen – während Extravertierte ihre Gedanken während des Sprechens verarbeiten), treffen sich lieber nur mit einer oder zwei anderen Personen als in großen Gruppen….und das ist vollkommen ok.
Wie gut man mit anderen Menschen auskommt, hat weniger damit zu tun, wie introvertiert oder extravertiert man ist, sondern hängt auch noch von anderen Eifenschaften und sozialen Fähigkeiten ab.
Denn hier kommen wir zum Thema Stress und Stressmanagement für Introvertierte
Da gesellschaftlich extravertierte Verhaltensweisen lieber gesehen werden, werden introvertierte Personen meist schon von klein auf dazu angehalten, sich extravertierter zu verhalten.
„Sprich doch mal lauter“
„Du musst auf den Geburtstag gehen, was sollen die anderen denken?“
„Geh doch mal mehr aus dir raus!“
„Du bist viel zu still.“
Solche und andere Sätze können von den Eltern, Bekannten oder Lehrkräften kommen und das Selbstbild des Kindes prägen.
Mehr zum Thema Introversion hatte ich übrigens in diesem Artikel schon mal geschrieben:
Sehnsucht nach Ruhe
Introvertierte wenden sich eher nach innen, statt nach außen.
Sie neigen zur Zurückhaltung und stehen einfach ungern mit Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Ständig darauf gedrängt zu werden, sich trotzdem extravertiert verhalten zu müssen, kann einfach nur stressig sein.
Zum Beispiel, weil man sonst als arrogant oder unsozial missverstanden wird oder sich mit ständigem Rechtfertigungsdruck konfrontiert sieht.
Nicht zuletzt mit dem Gefühl, einfach nicht richtig zu sein, so wie man eben ist.
Das kann mit Selbstkritik, Selbstzweifeln oder Ängsten einhergehen.
Deswegen nochmal an der Stelle:
Wenn du introvertiert bist und eben mehr Zeit für dich allein brauchst, ist das vollkommen in Ordnung.
Es ist einfach Teil deiner Persönlichkeit und das ist nichts Schlechtes.
Das war eine Sache, die ich auch erstmal lernen musste.
Zu Stressbewältigung und Selbstfürsorge gibt es unendliche viele Tipps und Methoden, die aber – wie gesagt – nicht zu jeder Person passen.
Falls du meinen Blog schon länger liest bzw. in einige Audio-Blogbeiträge reingehört hast, ist dir vielleicht schon mal aufgefallen, dass ich meistens Beispiele wie Journaling, Yoga oder Meditation gebe.
Also Dinge, die man in Ruhe und allein machen kann.
Und das nicht ohne Grund, denn ich bin eben selbst sehr introvertiert und brauche einfach viel Zeit für mich. Hinzu kommt, dass ich aufgrund meiner chronischen Erkrankung manchmal einfach sehr viel Ruhe brauche, aber das ist eine andere Geschichte.
Es ist also schwer eine pauschale Antwort auf die Frage „Was brauchen Introvertierte – was brauchen Extravertierte?“ zu geben. Achte daher eher darauf, das dir persönlich gut tut.

Stressbewältigung und Selbstfürsorge – Tipps für Introvertierte
Introvertierte haben lieber mehr Zeit mit sich allein, während Extravertierte lieber viel Zeit mit anderen verbringen. Deswegen eignen sich manche Self-Care-Tools eben für manche Persönlichkeitstypen besser als für andere.
Wie gesagt, die wenigsten sind entweder zu 100% introvertiert oder extravertiert – manche sind auch eher ambivalent und weisen in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Verhaltensweisen auf. Mal eher geselliger, mal eher zurückgezogener.
(Noch eine Bemerkung: Ob du gerade eher geselliger bist oder mehr Zeit allein brauchst, kann hormonell bedingt auch mit den Phasen des Menstruationszyklus schwanken)
1 Meditation
Meditation kann für Introvertierte besonders geeignet sein, weil sich der Blick hier nach innen richtet. Also auf die eigene Gedanken- und Gefühlswelt. Dabei kannst du auch einen Blick auf wiederkehrende Gedankenmuster werfen, die stressverstärkend wirken.
Es ist ein ruhige Tätigkeit, die zusätzlich verschiedene gesundheitliche und andere Vorteile mit sich bringt. Dazu gehören z. B. ein verbesserter Schlaf, mehr Konzentration oder eine Senkung von Blutdruck und Herzrate.
Außerdem kann Meditation zum Stressabbau beitragen und dir dabei helfen, bei dir zu bleiben, wenn es gerade ziemlich trubelig und hektisch um dich herum zugeht.
Mehr Infos zum Thema Meditation findest du in diesen Artikeln:
Warum sollte ich meditieren?
Der Atem als Anker im Hier & Jetzt (+ Mini-Meditation)
Meditation in den Alltag einbauen – 5 Tipps
2 Grenzen kommunizieren
Es ist ok mehr Ruhe und Pausen zur Regeneration zu brauchen. Allerdings kann bei Introvertierten das Gefühl aufkommen, mit Extravertierten mithalten zu müssen.
Und sich dann dazu zwingen, möglichst gesellig zu wirken (u.a. auch, um solchen Vorurteilen, wie unsozial, unfreundlich oder einfach nur komisch zu sein, entgegenzuwirken).
Häufiger extravertiert zu agieren, kann sich zwar bei Introvertierten scheinbar sogar positiv auf die Stimmung auswirken.
Nichtsdestotrotz ist es wichtig, auf die eignen Grenzen zu achten. Du kannst also zwischendurch versuchen, mehr unter Menschen zu gehen – sofern das für dich funktioniert.
Aber wenn es dir zu viel wird, darfst du dich auch wieder zurückziehen.
(Edit: Das Thema Grenzen ist natürlich nicht nur für Introvertierte relevant.)
3 Selbstmitgefühl stärken
Aufgrund der Missverständnisse und Vorurteile gegenüber Introvertierten kann es dazu kommen, dass du dich nicht richtig fühlst, so wie du bist.
Vielleicht hast du bestimmte Dinge einfach so sehr verinnerlicht, dass dein innerer Kritiker dir auch ständig sagt, dass du zu still, zu langweilig, zu unsozial oder sonst was wärst.
In solchen Momenten kann es gut tun, sich in Selbstmitgefühl zu üben. Versuche, dir selbst Freundlichkeit und Mitgefühl entgegen zu bringen und zu akzeptieren, wie du nun mal bist.
Denn es ist nichts Schlechtes daran. Genau so wie andere hast du deine eigenen Stärken und Schwächen wie jeder andere auch.
Mehr zum Thema Selbstmitgefühl kannst du hier nachlesen:
Selbstmitgefühl – Die Freundlichkeit sich selbst gegenüber
4 Journaling
Wie auch Meditation ist Jouranling etwas, das du allein und in Ruhe machen kannst. Auch dabei kannst du dich mit deinen Gedanken und Emotionen auseinandersetzen und sie auch nochmal schriftlich evaluieren.
Falls du aufgrund von zu vielen Informationen, Erlebnissen, To-Dos und Terminen irgendwann das Gefühl hast, komplett in deinem Gedankenchaos unterzugehen, kannst du es auch mal mit einem Braindump versuchen:
Schreibe unzensiert und ohne Wertung alles auf, was dir gerade im Kopf umherschwirrt. Dadurch kannst du das, was dich beschäftigt, nochmal schwarz auf weiß sehen und besser einordnen, vielleicht auch Muster erkennen oder Lösungsschritte ableiten.
Journaling kann auch ein Tool sein, um deinen „Akkustand“ im Blick zu behalten und deine persönlichen Stresssignale leichter zu erkennen.
Verwandter Artikel:
Dankbarkeitstagebuch – Positives sichtbarer machen
Stresssymptome erkennen – Woran merkst du, dass du gestresst bist?
5 Austausch mit anderen
Soziale Kontakte sind wichtig für das psychische Wohlbefinden. Das gilt sowohl für Extravertierte als auch für Introvertierte.
Nur das „Wie“ unterscheidet sich hier. Statt sich ins Partygetümmel zu stürzen, treffen sich Introvertierte lieber mit ein oder zwei Personen. In Sachen Selbstfürsorge ist soziale Interaktion ein wichtiger Punkt.
In welcher Form – also per Mail, Chat, telefonisch oder im selben Raum – ist dir wieder überlassen. Wobei persönliche Treffen doch nochmal was anderes sind.
Stressmanagement für Introvertierte – ein kurzes Fazit
Nochmal zum Abschluss:
Es ist per se erstmal egal, ob du introvertiert oder extravertiert bist. Nichts davon ist besser oder schlechter, denn jede Persönlichkeitseigenschaft geht mit bestimmten Stärken und Schwächen einher.
Was sich gerade als günstig erweist, hängt stark von den Umweltfaktoren ab.
Sich selbst und andere in Schubladen zu stecken, kann problematisch sein, da es zu Klischees und Vorurteilen kommen kann .
Sich dieser Persönlichkeitseigenschaften jedoch bewusst zu sein, kann dabei helfen, sich selbst und andere besser zu verstehen. Und dadurch auch für sich persönlich geeignete Wege zur Stressbewältigung zu finden.
Zum Beispiel, indem Introvertierte sich selbst weniger Druck machen, jede Party mitzunehmen, um nicht als unsozial zu gelten. Und sich ohne schlechtes Gewissen den Abend allein zu Hause gönnen.
Oder eben auch, dass z.B. Freund*innen oder Eltern besser verstehen, warum man eben mehr Zeit für sich selbst braucht und es nicht böse meint, wenn man seine Ruhe haben möchte.
Was ich dir mit diesem Artikel vor allem sagen möchte:
Was dich stresst und wie du persönlich am besten mit Stress umgehen kannst, hängt von deiner Persönlichkeit und weiteren Faktoren ab.
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