Ungesunder Perfektionismus – Wenn „gut“ einfach nicht reicht

Wir leben in einer Zeit der Selbstoptimierung. Ungesunder Perfektionismus ist da nicht weit.

In einer Zeit, in der Durchschnitt scheinbar einfach nicht ausreicht und wir dazu angehalten werden, das Beste aus uns selbst herauszuholen und in allen Lebensbereichen Perfektion anzustreben.

Aufgaben möglichst perfekt umsetzen oder bestimmten Fähigkeiten verbessern zu wollen, ist erstmal an und für sich nichts Negatives.

Mit so einer Art von Perfektionismus können tolle Ergebnisse einhergehen.

Ungesunder Perfektionismus kann hingegen dazu führen, dass wir Aufgaben vor uns her schieben – aus Angst, dass das Ergebnis eben nicht perfekt wird.

Und er geht häufig mit einer Menge Stress einher, was sich nicht gerade günstig auf unsere psychische und körperliche Gesundheit auswirkt.

ungesunder Perfektionismus - Scrabble-Steine auf einem weißen Untergrund bilden den Satz "done is better than perfect"

Foto von Brett Jordan auf Unsplash

Problematisch wird es, wenn wir unser Selbstwertgefühl von Perfektion abhängig machen.

Und das kann schnell mal passieren.

Immerhin wird uns (vor allem auf Social Media) suggeriert, dass wir unser volles Potenzial entfalten sollen, ständig leistungsfähig sein und obendrein am besten permanent glücklich durchs Leben gehen müssen.

Wir müssen dafür nur hart genug (an uns) arbeiten, nur immer besser werden, nur motiviert genug sein.

Dann können wir alles erreichen.

Wer da nicht sein perfektes, erfolgreiches, glückliches, sorgenfreies Traumleben führt, ist quasi einfach selbst schuld.

(Andere Faktoren, die zum Erfolg beitragen, werden da auch gern mal ausgeblendet – “Jeder ist seines Glückes Schmied“ klingt eben irgendwie besser als „vielleicht hatte auch einfach der Zufall seinen Anteil daran“).

Höher, schneller, weiter – sich nur mit dem Durchschnitt zufrieden zu geben? Auf gar keinen Fall. Schließlich sollen doch aus der Menge hervorstechen, oder?

Funktioniert ironischerweise nicht, wenn der Durchschnitt sich so weit hochoptimiert hat, dass die Messlatte ohnehin immer höher gelegt wird…

Durchschnitt als Bankrotterklärung

Selbstoptimierung und Perfektionismus sind Fässer ohne Boden.

Egal, wie gut du in etwas bist – du könntest immer noch besser werden.

Am großen Ziel „Perfektion“ kommen wir einfach nie an. Egal, wie schnell wir rennen und uns selbst stressen.

Das heißt, je nachdem, wie du Perfektion und Erfolg definierst.

„Erfolgreich zu sein bedeutet, Dich zu mögen; zu mögen, was Du tust und zu mögen, wie Du es tust“

– Maya Angelou

Und wenn Erfolg meint, Perfektion in allen Lebensbereichen zu erreichen zu müssen, baut das natürlich einen ziemlichen Druck auf.

Ungesunder Perfektionismus bedeutet: Wenn ich versage, bin ich wertlos

Gesteckte Ziele werden dann zunehmend unrealistischer, die Angst vor Fehlern wächst und es kann sich ein Schwarz-Weiß-Denken entwickeln nach der Devise:

Wenn es nicht perfekt ist, ist es wertlos.

Gilt dann eben auch für einen selbst.

Was tut man also dagegen? Immer weiter an sich selbst rumoptimieren, um vor ich selbst und anderen nicht als Versagerin dazustehen?  

Das stresst logischerweise, ist frustrierend und kostet enorm viel Kraft.

„Perfektionismus ist ein selbstzerstörerisches und süchtig machendes Gedankensystem, das diesen Hauptgedanken antreibt: Wenn ich perfekt aussehe und alles perfekt mache, kann ich die schmerzhaften Gefühle von Scham, Verurteilung und Schuldgefühlen vermeiden oder minimieren.“

– Brené Brown

Unterscheidung zwischen funktionalem und dysfunktionalem Perfektionismus

Wie gesagt: In einer Sache perfekt sein zu wollen, kann motivieren und auch tolle Ergebnisse hervorbringen.

Das ist natürlich super, solange das Streben nach Perfektion nicht an das Selbstwertgefühl gekoppelt ist.

Wenn man sich bewusst ist, dass Fehler passieren können, nicht immer alles optimal läuft und sich selbst trotz Misserfolgen immer noch als wertvollen Menschen begreift.

Während also beim funktionalen (gesunden) Perfektionismus der Antrieb zum Erfolg mit einer gleichzeitigen Akzeptanz von Fehlern und Hindernissen einhergeht und nicht mit dem Selbstwertgefühl verknüpft ist, sieht es beim dysfunktionalen Perfektionismus anders aus:

Ein ungesunder Perfektionismus vereint in sich einen starken Drang nach Perfektion (perfekt zu sein und alles perfekt zu erledigen) und intensive Selbstkritik, sobald etwas vom Optimum abweicht.

Jeder Fehler wird mit Versagen gleichgesetzt und wirkt sich negativ auf das Selbstwertgefühl aus.

Die Angst vor dem Scheitern und dysfunktionaler oder ungesunder Perfektionismus können mit verschiedenen Dingen einhergehen:

  • Tendenz zur Prokrastination
  • Hohes Stresslevel
  • Ablehnen von Hilfe
  • Geringes Selbstwertgefühl und harsche Selbstkritik
  • Ständiger Druck „der/die Beste“ sein zu müssen
  • Übertriebenes Wettkampfdenken
  • Mangelnde Kritikfähigkeit
  • Erfolge werden nicht als solche erkannt
  • Und man ist nie mit dem Erreichten zufrieden

Ungesunder Perfektionismus und die Überzeugung „Ich bin nicht gut genug“

Überzeugungen wie „ich bin nicht gut genug“ oder „ich darf keine Fehler machen“ haben verschiedene Ursachen.

Wir können diese Glaubenssätze von unseren Eltern (oder anderen frühen Bezugspersonen) übernommen haben. Oder wir haben sie in der Schule oder anderen Sozialisationsinstanzen oder auch in den Medien aufgeschnappt und verinnerlicht.

So sehr darauf fokussiert zu sein, sich ständig verbessern zu müssen und keine Fehler machen zu dürfen, ist einfach nur anstrengend.

Daher zum Schluss noch ein paar Impulse zum Umgang mit Perfektionismus:

Die eigenen Erwartungen reflektieren

Wenn du zu Perfektionismus neigst und merkst, dass es dich stresst oder du dich bei jeden noch so kleinen Fehler mit Selbstkritik überschüttest, hinterfrage deine Ansprüche an dich selbst.

Wie realistisch ist das Ziel, das du dir gesteckt hast?

Stehen dir überhaupt die notwendigen Ressourcen zur Verfügung (Geld, soziale Unterstützung, zeitliche Kapazitäten, gesundheitliche Voraussetzungen, etc.)?

Wäre es wirklich so katastrophal, wenn das Ergebnis nicht 100%ig deiner Idealvorstellung entspricht?

(Zum Thema Erwartungen findest du hier auch nochmal was.)

Üben, weniger zu tun

Für jemanden, der ständig die (rein rechnerisch unmöglichen, aber sprichwörtlichen) 110 % gibt, kann das zunächst mal eine unangenehme Vorstellung sein.

Wenn du also schon so was wie Panik in dir aufsteigen merkst, wenn du auch nur daran denkst, mal „nur“ 90% in eine Aufgabe zu investieren, fange vielleicht erstmal mit 1 oder 2 % weniger an und taste dich langsam voran.

Bewusst etwas unperfekt machen

Klingt vielleicht auch erstmal gruselig, wenn du es gewohnt bist, alles perfekt machen zu wollen. Nimmt aber eine Menge Druck weg.

Statt in allen Lebensbereichen perfekt sein zu wollen, frage dich mal, wo es sich lohnt, deine perfektionistischen Ambitionen einzusetzen. Und wo du es auch mal etwas lockerer angehen kannst.

Einstellung zu Fehlern verändern

Versuche, Fehler als Lernmöglichkeiten zu sehen und nicht als Beweis dafür, dass du eine komplette Versagerin bist.

Jeder macht Fehler.

Sie zeigen uns Wege auf, wie etwas nicht funktioniert.

Klar, manche Fehler können unschöne Folgen haben – Fehler bei Operationen zum Beispiel. Patzer in der Planung des Familientreffens oder des Kindergeburtstags eher weniger.  

Selbstmitgefühl praktizieren

Perfektionistinnen neigen zu übertriebener Selbstkritik.

Das motiviert nicht unbedingt für einen zweiten Versuch, sondern verstärkt eher die Angst, es überhaupt nochmal zu versuchen.

Gehe mit dir selbst geduldig und freundlich um, statt das Unmögliche von dir zu erwarten und dich dann dafür runterzumachen, dass du diese unrealistischen Erwartungen nicht erfüllen konntest.  

Fokus auf „gut“ statt „gut genug“

Selbst der Gedanke, dass etwas nicht perfekt, sondern gut genug sein darf, kann nach hinten losgehen.

„Gut genug“ kann zu einer abgeschwächten Version von perfekt werden, weil der Ausdruck genauso schwammig ist.

Wann ist etwas gut genug? Reicht nicht auch einfach nur „gut“?

Überlege dir vielleicht mal, was für dich „gut“, „gut genug“ und „perfekt“ bedeutet.

Blick auf deine Vorstellung von dir selbst

Wie siehst du dich selbst?

Also dein aktuelles, reales Selbst?

Wie sehr weicht es von deiner persönlichen Vorstellung eines Ideal-Selbst (wie du sein möchtest) ab?

Und wie weit von dem Selbst, welches du glaubst, sein zu sollen (also was du denkst, wie andere dich haben wollen)?

Und wie bewertest du die Lücke zwischen diesen Selbstbildern?

(Was das „Sollen“ angeht: Denk dran, dass du es anderen nicht recht machen musst.)

Es ist okay, nicht überdurchschnittlich zu sein. Du musst nicht perfekt sein, um einen positiven Einfluss auf dein Umfeld oder die Welt zu haben. Oder ein gutes Leben zu leben.

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